Über den Tellerrand: Focusing

Focusing ist eine von Prof. Eugen T. Gendlin entwickelte Methode und Therapieform, bei der der Klient den Veränderungsprozess selbst steuert. Der Therapeut hilft, indem er einen geeigneten Rahmen mit gutem Rapport und eine zuversichtlichen Einstellung bereitstellt und den Klienten anleitet, sich auf seine Körpergefühle zu konzentrieren.

Auch wenn Focusing in dieser Form nicht in gängigen NLP-Ausbildungen unterrichtet wird, so verträgt sich diese Methode doch sehr gut mit den Vorgehensweisen und Grundannahmen von NLP. Ich möchte deshalb hier den Blick über den Tellerrand wagen und Focusing etwas näher vorstellen.

Die Geschichte und Herkunft des Focusing

Focusing wurde von dem amerikanischen Psychotherapeuten und Philosophen Prof. Eugen T. Gendlin (1926-2017) im Rahmen der klientenzentrierten Psychotherapie von Carl Rogers als Selbsthilfemethode entwickelt. Gendlin legte besonderen Wert darauf, dass der Klient den Veränderungsprozess selbst steuert und der Therapeut ihn bestenfalls dabei begleitet, ohne ihn durch Ratschläge oder Interpretationen zu behindern!

Wie beim Modeling im NLP hatte Gendlin die Strategie erfolgreicher Klienten genau beobachtet und analysiert. Er stellte dabei fest, dass sich erfolgreiche Problemlöser immer wieder ihren körperlichen Empfindungen zuwendeten, während sie über ein Problem sprachen. Sie legten Wert auf die körperliche Rückkopplung und körperliche Veränderung beim Finden einer Lösung.

Aus diesen Beobachtungen leitete Gendlin den Prozess des Fokusing ab. Erfolgreiche Klienten fokussieren sich auf die Körperempfindungen und erkunden sie gewissenhaft. Aus diesem Grund nennt Gendlin die Klienten „Focuser“.

Die Phasen einer Focusing-Sitzung:

Den Focusing-Prozess kann jeder einüben und komplett eigenständig durchlaufen. Für manche Menschen ist es angenehmer, den Prozess in Begleitung eines anderen Menschen zu erleben – das kann jede Person sein, die die Methode kennt. Fachleute sind nicht erforderlich.

  1. Erkunden des „Felt Sense“: Zunächst schließt der Focuser seine Augen, vergegenwärtigt sich das Problem und achtet dabei auf seine Körperempfindungen, um diese zu beschreiben. Durch den Vergleich der Beschreibung mit den gefühlten Körperempfindungen werden diese immer genauer und es entsteht ein gefühlter Sinn (Felt Sense).
  2. Beobachten des „Felt Shift“: Bei diesem Prozess bewusster innerer Achtsamkeit betrachtet der Focuser ein Körperempfinden nicht nur von außen, sondern auch von innen. Der Focuser geht genau dorthin wo er glaubt, dass es unangenehm werden könnte – ins Zentrum des Gefühls. Dieses Vorgehen erzeugt üblicherweise kleinere körperliche Veränderungen, die gefühlte Veränderung (Felt Shift) genannt werden.
  3. „Body Shift“ als Zeichen für die Lösung: Die gefühlte Veränderung wiederum führt letztendlich zu einer vollständigen inneren Lösung (Body Shift), die sich dann einstellt, wenn der Focuser alle Zusammenhänge seines Problems und der damit verbundenen Körperempfindungen verstanden hat und er sich der Richtigkeit seiner Erkenntnisse gewiss ist.

Ein Beispiel

Wenn ein Mensch berichtet, dass er beim Gedanken an ein Thema einen Kloß im Hals verspürt, wird er beim Focusing dazu ermuntert, nicht nur den genauen Ort, die Größe, Form und Konsistenz des Kloßes zu beschreiben, sondern den Kloß auch von innen komplett zu erkunden – quasi „mitten ins Problem hineinzugehen“.

Überschreitet der Focuser diese Grenze, verändert sich üblicherweise das Körpergefühl und er bemerkt, dass das, was er am meisten gefürchtet hat, gar nicht bedrohlich ist. Dadurch verändert sich wiederum die Bewertung des kompletten Themas. Da Menschen nicht durch Erlebnisse an sich glücklich oder unglücklich werden, sondern dadurch, wie sie diese Erlebnisse bewerten, ist mit einer Neubewertung ein entscheidender Schritt in Richtung Lösung geschafft.

Gemeinsamkeiten zum NLP

Genauso wie beim NLP steht beim Focusing der Verarbeitungsprozess im Vordergrund – der Inhalt des Problems wird nicht thematisiert. So bleiben dem Focuser Peinlichkeiten erspart. Zudem wird das Metaprogramm „von-weg“ in „hin-zu“ verändert. Normalerweise entstehen Probleme dann, wenn Menschen, auf der Flucht vor ihren eigenen Körperempfindungen, versuchen, diese auszublenden und ihnen auf diese Weise so fern wie möglich zu bleiben, ja sich vielleicht sogar dissoziieren. Dieser Prozess wird umgekehrt. Nicht nur die Assoziation wird durch das Focusing wiederhergestellt, sondern der Focuser erkundet die körperliche Repräsentanz seines Problems von innen.

Die zentrale Grundannahme des Focusing, dass der Focuser sich eigenständig verändert, wenn er einen geeigneten Rahmen dafür hat, sind gut vereinbar mit den NLP-Grundannahmen. Dieser geeignete Rahmen ist durch Zuversicht und einen guter Rapport zu sich selbst und zum Begleiter geprägt. Getragen von dieser zuversichtlichen Stimmung wird Veränderung zum Vergnügen.